«Das Buch wird es immer geben!»

    Bibliotheken erleben einen Aufschwung. So auch die Stadtbibliothek Aarau. Sie ist Treffpunkt, Freizeitzentrum und Lernort in einem. Sie ist ein Magnet für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen und lädt zu inspirierenden Besuchen ein. Auch im digitalen Zeitalter spielen Bücher, Hörbücher und Filme immer noch die Hauptrolle. Lilo Moser, Leiterin Stadtbibliothek Aarau, begleitet die dynamische Entwicklung der Stadtbibliothek seit über 23 Jahren und meistert die vielseitigen Aufgaben mit ihrem Team mit Bravour.

    (Bild: CR) Fortschrittlich unterwegs: Lilo Moser, die Leiterin der Stadtbibliothek Aarau, und ihr Team passen ihr Angebot dem digitalen Zeitgeist an – mit Erfolg.

    Die Stadtbibliothek wird täglich von über 600 Leuten frequentiert. Wie haben Sie das erreicht?
    Lilo Moser: Da steckt viel Aufbauarbeit drin. Der Fokus von mir und meinem 20köpfigen-Team liegt immer auf den Bedürfnissen unserer Kundinnen und Kunden. Ich habe 1996 einen gut funktionierenden und neu umgebauten Betrieb an bester Lage übernommen, der in der Stadt einen hohen Stellenwert geniesst und soeben in die Verantwortung der Stadt übergegangen war. Ich hatte damals drei Stockwerke zur Verfügung, mittlerweile sind es sieben, wobei vier davon für den Publikumsbereich geöffnet sind.

    Die Stadtbibliothek Aarau hat sich in den letzten Jahren zu einem wichtigen Begegnungsort in der Kantonshauptstadt entwickelt. Was bedeutet dies personell und infrastrukturmässig für Ihr Haus?
    Wir platzen aus allen Nähten und sind personell immer am Anschlag. Wir verfügen hier im Haus ebenso über eine bescheidene Infrastruktur, beispielsweise haben wir keinen grossen Raum. Trotzdem holen wir das Maximum heraus und bieten Veranstaltungen im kleinen und intimen Rahmen.  Wir haben immer ein offenes Ohr für Leute, die gerne eine Veranstaltung in unserem Haus beispielsweise eine Buchvernissage, Leseabend etc. abhalten wollen. Unsere Leute sind sehr engagiert und flexibel. Sie bilden sich laufend weiter, um neue Herausforderungen stetig zu bewältigen. Die Aarauerinnen und Aarauer sollen die Stadtbibliothek als ihr Haus betrachten, wo sie stets willkommen sind – so unser Erfolgsrezept.

    Am 19. November 2019 haben Sie das 50-Jahr-Jubiläum der Stadtbibliothek Aarau am Graben gefeiert. Der Betrieb hat inzwischen eine rasante Entwicklung hinter sich. Was waren die grössten Meilensteine?
    1975 erfolgte eine räumliche Erweiterung, 1986 wurde die Phonothek eingerichtet, 1996 haben wir ein EDV-System eingeführt und 1999/2000 haben wir gross umgebaut mit Lift und einer Erweiterung zu sieben Stockwerken. Wichtig für uns waren auch 2008 die Eröffnung der interkulturellen Kinderbibliothek iKBi und der Start der Leseförderungsanlässen sowie ein Jahr später die Eröffnung der Badi-Bibliothek. 2013 gab es ein neues Bibliothekskonzept mit frei verfügbarem WLAN und seit 2015 haben wir im Winterhalbjahr auch sonntags geöffnet. Vor zwei Jahren haben wir mit dem digitalen Angebot gestartet.

    Pro Jahr werden 325’000 Medien ausgeliehen. Haben Sie damit Ihre Kapazitätsgrenze erreicht oder gibt es noch Potenzial nach oben?
    Unser Bestand wird sehr gut genutzt, rund ein Drittel ist immer ausgeliehen. Eine wichtige Unterstützung ist die RFID-Technologie, die unseren Kundinnen und Kunden eine eigenständige Verbuchung erlaubt. Wir haben insgesamt 50’000 Medien – Bücher, CD, DVD, Tonies, Zeitschriften und Landkarten – im Haus. Jedes Exemplar wird durchschnittlich sechs Mal pro Jahr ausgeliehen. Wir erneuern unseren Bestand ständig. 15 Prozent aller Medien sind neu angeschafft.

    Wie stehen Sie da im Vergleich mit anderen Bibliotheken dieser Grösse?
    Wir nehmen an einem Benchmarketing-Projekt teil, wo wir uns mit Bibliotheken ähnlicher Grösse wie beispielsweise diejenige von Thun, Burgdorf oder Chur vergleichen. Dabei stehen wir sehr gut da mit unserem attraktiven Veranstaltungsprogramm und der hohen Eigenfinanzierung dank vielen Besucherinnen und Besuchern. Wir sind zudem im selben e-Book-Verbund wie die Stadtbibliothek Zofingen und arbeiten bei Projekten zur Leseförderung wie das Lesetandem eng mit unseren Nachbarn zusammen.

    Ihr Angebot reicht weit über das Verleihen von Medien hinaus. Welches sind weitere wichtige Standbeine der Stadtbibliothek?
    Wir sind politisch neutral und unser Haus soll ein Treffpunkt für jedermann sein. Ein Ort, wo man sich gerne aufhält, entspannen kann, Inspiration bekommt und Neues entdeckt. Bei uns kann man gratis Zeitschriften lesen, interessante Begegnungen mit anderen Besuchern erleben. Wir bieten auch Räumlichkeiten für Lesegruppen, Erzähltreff etc. Mir liegt sehr am Herzen, mit niederschwelligeren Kulturangeboten auch weniger kulturaffinen Menschen die Möglichkeit zu bieten, am kulturellen Leben in unserer Gesellschaft teilhaben zu können.

    (Bild: Bild: Donovan Wyrsch) Mit einer breiten Palette an Medien und Veranstaltungen erhalten auch Kinder die Möglichkeiten, sich mit Kernkompetenzen wie Schreiben und Lesen zu beschäftigen.

    Auch die kleinen Gäste kommen auf ihre Kosten. Wie sehen hier die Angebote aus und was sind deren Hauptziel?
    Lesen und Schreiben sind Kernkompetenzen für das gesellschaftliche Leben und eine Grundvoraussetzung, um im Berufsleben Fuss zu fassen. Es ist meines Erachtens wichtig, dass Kinder sich schon vor dem Ein-tritt in die Schule mit Geschichten und Texten befassen – und dies in ihrer Muttersprache. Deshalb bieten wir auch Kinderbücher in zehn verschiedenen Sprachen an. Eine unserer sehr gut besuchten Veranstaltungen ist «Gigampfe Värsli stampfe» für Kinder ab neun Monaten. Hier wird die Lust am Sprechen, Formulieren sowie am Lesen spielerisch gefördert. Denselben Hintergrund haben auch Projekte wie «Leserkerle» für Jungs im Alter von sechs bis zehn Jahren und ihre männlichen Begleitpersonen, Waldgeschichten für Kinder ab drei Jahren oder «Geschichtezyt, Geschichten hören und Basteln für Kinder ab vier Jahren etc. Kinder und Familien sind denn auch eine unserer Hauptzielgruppen.

    Das Buch ist noch lange nicht am Ende. Wie erleben Sie das als engagierte Bibliothekarin im Zeitalter der Digitalisierung?
    Seit 35 Jahren, also seit ich in dieser Branche arbeite, wird das Buch totgesagt. Tatsache ist aber, dass wir im letzten Jahr wieder mehr Bücher ausgeliehen haben als im Vorjahr. Bei den Printmedien verzeichnen wir eine Steigerung von 1,8 Prozent. Das Buch ist und bleibt beliebt. Das Buch ist etwas Emotionales mit dem Fühlen und Knistern der Seiten beim Blättern, schönen Bildern und Illustrationen, Hochglanz-Einbänden oder einer interessanten Zusammenstellung und Aufbereitung von Fakten unter einem Buchdeckel bei Sachbüchern. Dieses Erlebnis können digitale Medien nicht ersetzen.

    Was sind generell die grössten digitalen Herausforderungen für Ihr Haus?
    Mit der rasanten digitalen Entwicklung mitzuhalten, gesellschaftliche Strömungen laufend aufzunehmen und passende Angebot für unsere Kundinnen und Kunden zu entwickeln. Denn digitale Instrumente können auch Angst machen und verunsichern. Dabei orientieren wir uns auch weltweit an anderen Bibliotheken, tauschen uns aus und picken sogenannte «best practices-Beispiele heraus und setzen diese bei uns um. Das IT-Café, ein kostenloses Beratungsangebot für alle Menschen, die nicht mit Internet, Computer oder Tablet gross geworden sind, ist eine solche Veranstaltung.

    Sie verrichten in der Stadtbibliothek auch wertvolle Migrationsarbeit!
    In unserem Haus sind auch Minderheiten willkommen. Mit Sprachtandems, Sprachkursen, Führungen und Abos für Migranten oder einer sogenannten «Living Libary» mit Transmenschen geben wir auch gerne Minderheiten eine Plattform.

    Zurzeit lösen Sie die Musikabteilung auf und gestalten den freien Raum offen. Welche Pläne stecken dahinter?
    Die Ausleihen der Musik-CDs sind während der letzten Jahre massiv rückläufig. Während es 2012 noch 20’000 waren, wurden im letzten Jahr noch 5’000 solcher Tonträger ausgeliehen. Streamingdienste wie Spotify und iTunes haben die CD abgelöst. Für Bibliotheken gibt es im Gegensatz zu eBooks, die sehr gut genutzt werden, keine guten Alternativen für Musik-Streamings. Wir haben immer zu wenig Platz für Veranstaltungen. Deshalb bauen wir den Musik-Raum im Untergeschoss aus und integrieren eine Sitztreppe sowie eine kleine aufklappbare Bühne. Die Umbauarbeiten sind Ende Februar abgeschlossen.

    Ihre Vision ist eine sogenannte «open libary» zu machen. Was verstehen Sie darunter und wie nah sind Sie diesem Ziel schon?
    Das Konzept stammt aus Dänemark, wo es erfolgreich praktiziert wird. Die Idee dahinter ist die, dass die Bibliothek den Bürgerinnen und Bürger gehört und diese den Ort möglichst oft benützen können. Konkret heisst das, sie können auch zu Zeiten in die Bibliothek, wenn diese unbedient ist, um sich zu treffen und zu lesen. Uns gefällt diese Philosophie sehr und wir würde gerne unser Haus ab Sommer 2021 auch rund um die Uhr der Bevölkerung zur Verfügung stellen. Ob dies realisiert werden kann, prüfen wir zurzeit. Denn es benötigt dazu eine spezielle Infrastruktur wie Kameras, digitale Zugangskontrollen etc.

    Corinne Remund


    Die digitale Welt hält Einzug

    Die Stadtbibliothek Aarau hat die Zeichen der Zeit erkannt und ein Digitalkonzept mit sechs Handlungsfeldern ausgearbeitet. Es sieht unter anderem ein Veranstaltungsangebot mit digitalen Medien (Tablet, App etc) vor. Zudem sollen nebst den eBooks auch e-Paper oder e-Audio ausgeliehen werden können. Eine zeitgemässe digitale Infrastruktur mit PCs oder der Bewerbung von Medien auf Screens im Haus ist zudem geplant. Vermehrt will man auch die digitalen Kanäle und sozialen Medien zur Werbung für die Stadtbibliothek und ihr viel-fältiges Angebot nutzen. Vorgesehen ist auch, das Personal vermehrt für digitale Thema zu sensibilisieren und digitale Kompetenzen durch Weiterbildungen zu fördern und zu stärken. Das Konzept wurde vom Aarauer Stadtrat genehmigt.

    Weitere Infos:
    www.stadtbibliothekaarau.ch

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